morghaine hat geschrieben:Meine "Hauschemikerin" schimpft auch immer auf Glyzerin in allen möglichen Pflegeprodukten. Sie sagt, daß Glyzerin der Haut die Feuchtigkeit entzieht, so daß man z.B. wenn man einmal angefangen hat, Labello aufzutragen, immer wieder und häufiger nachschmieren muß.
Ich bin mir sicher, sie hat sich noch nie auf dermatologischem Niveau mit diesem Rohstoff beschäftigt und bringt hier einiges durcheinander. Eine Chemikerin ist eben keine Dermatologin. Wie in anderen Berufen auch haben Chemiker ihre Schwerpunkte (selbst wenn sie allesamt in einem kosmetischen Bereich arbeiten), während sie – so meine Erfahrung und die entschuldigende Aussage nicht weniger Chemiker, mit denen ich gesprochen habe – in anderen Bereichen eben keinerlei Kenntnisse besitzen. Der eine konnte mir nichts über Lecithine sagen (»Nicht mein Gebiet«), der andere nichts über Tenside, so ist das. Menschlich.
In käuflichen Lippenpflegestiften ist es Mineralöl, das diesen Effekt hervorruft, weil es okklusiv wirkt und weil es ein nicht physiologisches Fett ist, das von der Haut in keiner Weise verarbeitet werden kann. Die undifferenzierte Aussage, dass Glycerin der Haut Feuchtigkeit entzieht, wird von Laien-Autor zu Laien-Autor abgeschrieben, ohne dass sich auch nur einer die Mühe machen würde, selbst einmal aktiv dermatologische Literatur zu sichten, Meinungen zu vergleichen und sich auf Basis fundierter Kenntnisse ein eigenes Urteil zu bilden. Vor allem in der dermatologischen Behandlung von hautkranken (!) Menschen mit Barrierestörungen wird Glycerin erfolgreich eingesetzt, und ich glaube nicht, dass hochkarätige Dermatologen wie Wohlrab, Gloor und Gehring Phantasiestories publizieren. Dass jemand mit Glycerin nicht zurecht kommt, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt immer individuelle Vorlieben.
Ein häufig zu lesender Vorwurf ist, Glycerin sei billig. Ist es auch, vor allem synthetisch produziertes. Dass ein Stoff billig ist, macht ihn nun aber per se nicht schlecht: es gibt auch kostenintensiveres pflanzliches Glycerin (sogar in Bioqualität, habe es gerade zuhause). Der Weg
hauteigenen Wasser ist der von der Dermis nach oben zur Epidermis (daher der Rat, für eine schöne Haut viel zu trinken );
hauteigene NMF-Substanzen (zu denen auch Glycerin gehört, das in der Haut aus
hauteigenen Lipiden, die durch
hauteigene Lipasen gespalten werden, frei wird) halten das Wasser auf ihrem Weg nach oben fest und mindern seine Abdunstung. Glycerin ist ein physiologischer Stoff,
dessen Hygroskopie mit sinkender Luftfeuchtigkeit abnimmt. Stärker hygroskopisch als Glycerin sind übrigens Natriumlaktat und Sodium PCA – ergo müssten sie noch viel gefährlicher sein. Ich kann Entwarnung geben – sind sie nicht, ebensowenig wie Glycerin. Bei Glycerin (85 %) gilt 30 % als oberste Grenze des Verträglichen – nun, soviel würde ich nicht nehmen, ich verwende es um die 5 %, selten mal um die 10 %. In dermatologischen Rahmenrezepturen (also solchen, die auf ärztliche Anordnung vom Apotheker gemischt werden) können es auch mal 20–25 % sein – mehr nie.
Handgesiedete Seifen sind übrigens u. a. deshalb hautfreundlicher, weil sie noch Glycerin aus den verseiften Fetten enthalten.
Schließlich: In einem Lippenpflegestift würde ich auch kein Glycerin einsetzen. Die nativen Öle reichen vollkommen aus. Insofern wird es sicher nicht schwer, einen glycerinfreien Pflegestift zu kreiieren. Wichtiger sind Sterole (Lanolin, Unverseifbares, Wollwachsalkohol, Gamma-Oryzanol usw.).